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29.07.2017 Kategorie: Propstei

Wort zum Sonntag

Unsere Vorurteilskommode

„Also nein, wie die sich nun wieder angezogen hat, so kann man doch nicht auf die Straße gehen. Und wie es bei denen im Garten aussieht! Und die Straße haben sie auch ewig nicht gefegt.“ Wer kennt sie nicht, solche und ähnliche Ablästerungen über Menschen, die sich anders kleiden, andere Lebensgewohnheiten und Ansichten haben und überhaupt anders sind. Und wir alle haben sicher auch schon so manches Mal in so eine Litanei mit eingestimmt, wenn wir ehrlich sind. Nur so offen würden wir das wahrscheinlich nie zugeben.
„Du siehst den Splitter im Auge deines Gegenübers. Bemerkst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Wie kannst du zu deinem Gegenüber sagen: > Du, komm her! Ich zieh dir den Splitter aus deinem Auge. < Siehst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Du Scheinheiliger! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge! Dann hast du den Blick frei, um den Splitter aus dem Auge deines Gegenübers zu ziehen.“ Das sind Worte aus dem Lukas-Evangelium, 6. Kapitel, die Verse 41-42 (Übersetzung BasisBibel). Die Balken unserer oft gnadenlosen Urteile und Vorurteile über andere – mit denen wir ja auch gern von unseren eigenen Unzulänglichkeiten ablenken -, die können sich manchmal bis zu dem sprichwörtlichen Brett vorm Kopf auswachsen, wo dann gar nichts mehr geht an Verständnis und Akzeptanz. Menschen, die mit solchen Balken in den Augen und Brettern vor den Köpfen durch die Welt gehen, bleibt der Blick zum anderen Menschen - und auch zu sich selbst - versperrt. Hin und wieder ertappe ich mich selbst dabei, Mitmenschen in die Schubladen meines Vorurteilschrankes einzusortieren. „Ach, der da oder die da, das geht ja gar nicht!“ Kommt Ihnen das bekannt vor? Und haben Sie vielleicht auch schon erlebt, dass bei näherem Kennenlernen dieser Mensch, den Sie schon in eine bestimmte Kategorie einsortiert hatten, sogar ganz nett sein kann? Wenn wir barmherzig mit den eigenen und fremden Balken und Splittern umgehen, ich glaube, dann sind viele gute Begegnungen für uns drin. Denn so wie Gott uns begegnet, nämlich barmherzig und gnädig, können auch wir Menschen einander begegnen. Ich wünsche uns allen solche guten Begegnungen, mit den Menschen nebenan und auch denen, die Gott uns sonst noch so über unseren Weg schickt. So schwer ist es gar nicht, den Balken aus dem eigenen Auge zu entfernen, es tut nicht einmal weh, und unser Blick wird klarer für unsere Nächsten nah und fern.

Pfarrerin Annette Sieg, Groß Denkte